Roentgentüren in Wächtersbach

 

Abraham Roentgen (1711 bis 1793) und sein Sohn David Roentgen (1743 bis 1807) gehörten zu den bedeutendsten Kunsttischlern des 18. Jahrhunderts. Sie gehörten der Herrnhuter Brüdergemeine an, einer aus Böhmen stammenden, auf Jan Hus zurückgehenden protestantischen Glaubensrichtung. Sie gründete zunächst in der Oberlausitz die Siedlung Herrnhut. Nach ihrer Vertreibung von dort kam sie auf den Herrnhaag bei Büdingen. Der Graf zu Ysenburg bot den Glaubensflüchtlingen Schutz. Dort betrieb Abraham Roentgen seine Schreinerwerkstatt, in der er Möbel und Türen im Stile des Rokoko fertigte. Aus ihr stammen gleich drei Türen, die seit etwa dem Jahr 1750 unsere Altstadt zieren. Es handelt sich um

 

-          die Tür des Prinzessinnenhauses. Sie wurde einmal unfachmännisch abgebürstet und so einiger Details beraubt. Selbstverständlich gehört sie aber zusammen mit ihrer Rokokofreitreppe zu den schönsten Zierden unserer Altstadt. Der Schlossrandweg, der aus dem Schlosspark heraus auf die Tür mit ihrer Rokokofreitreppe zuführt, ist mindestens mehrere Jahrzehnte, eher an die hundert Jahre jünger als das Prinzessinnenhaus. Er führt mit einer kaum merklichen Biegung auf die Tür zu. Der den Schlosspark prägende Historismus des 19. Jahrhunderts wird hier offensichtlich mit dem Rokoko des 18. Jahrhunderts kunstvoll zusammengeführt und das Prinzessinnenhaus so in den Park integriert.

 

-          eine Tür, die sich im Obergeschoss des Prinzessinnenhauses befindet. Sie ist der Öffentlichkeit verborgen. Möglicherweise war sie ursprünglich ebenfalls eine Außentür. Sie enthält eine Marketerie.

 

-          die Tür des Anwesens Bachstraße 9, besser bekannt als das ehemalige Café Willeke. Bemerkenswert ist die unsymmetrische Gestaltung mit ihren Blumenornamenten und das schöne Bild, das sie besonders in der Abendsonne abgibt.

 

 

Die Herrnhuter Brüdergemeine musste 1750 den Herrnhaag verlassen und fand mit der Kunsttischlerei Aufnahme in Neuwied. Diese Stadt war erst hundert Jahre zuvor gegründet worden. Der Graf zu Wied bot Glaubensflüchtlingen vielerlei Konfessionen Schutz. Noch heute wohnt dort der Fürst zu Wied, eigentlich ein Isenburger, in seinem Schloss am Rheinufer. (Das Wappen der Familie Wied mit einem Pfau vor einem rot-gold gestreiften Hintergrund prangt auch über dem Wächtersbacher Schlosseingang infolge einer innerdynastischen Heirat. Auch hier werden die engen Verbindungen innerhalb der alten Reichsgrafen-Dynastie deutlich.)

 

Hier blühte das Geschäft mit den Rokokomöbeln richtig auf. 1772 übernahm Sohn David Röntgen, der das Handwerk, insbesondere die Technik der Marketerie weiter perfektioniert hatte, die Schreinerei und belieferte europäische Herrscherhäuser von Versailles bis St. Petersburg mit Kunstmöbeln. Die französische Revolution, die damit veränderten politischen Verhältnisse und der Wandel des Zeitgeschmacks setzten der Kunstschreinerei jedoch in den 1790er Jahren ein mehr oder weniger jähes Ende.

 

Heute findet man in Neuwied nicht nur das in sich geschlossene Herrnhuter Viertel mit dem Anwesen David Roentgens. Das Kreismuseum in Neuwied beherbergt zusammen mit der Eremitage in St. Petersburg die größte Roentgenmöbelsammlung. Dokumentiert sind die Roentgenmöbel im sogenannten Fabian-Katalog (Dietrich Fabian, Roentgenmöbel aus Neuwied, 1986). Das Museum in Neuwied gewährte Einblick: Auch die beiden Türen des Prinzessinnenhauses sind dort verzeichnet. Wir haben veranlasst, dass die Tür aus der Bachstraße im Museum ebenfalls verzeichnet wird und danken dafür dem Museumsleiter Herrn Bernd Willscheid sehr herzlich.

 

(Dieser aktuelle Stand wurde von Dirk Säufferer zusammengetragen. Von Archivseite wird angemerkt, dass die Roentgen-Forschung im Flusse sei und dass es nicht für alles lückenlose Nachweise gebe. Nicht Roentgen zugeschrieben werde jedenfalls die gleichfalls beachtenswerte Tür der Schwarzgasse 6. Die letzte Änderung dieser Seite erfolgte am 30. Juni 2021)

 

Bild 1: Prinzessinenhaus

Bild 2: Bachstraße 9